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Aktionsforschung: ein Aufriss der methodischen Entwicklung

Aktualisiert: 5. März 2020

Doris Formann


Wie wird Aktionsforschung aktuell angewendet? Im folgenden Text werden die historische Bezüge der Aktionsforschung und ihren Grundlagen nach Kurt Lewin erläutert, sowie ausgewählte Weiterentwicklungen der Anwendung von Aktionsforschung dargestellt.


1 Aktionsforschung von Kurt Lewin


Kurt Lewin entwickelte in der Nachkriegszeit in den USA die Handlungs- oder Aktionsforschung. Sie ist eine Art Tat-Forschung (action research), eine prozessorientierte Erforschung der Bedin-gungen und Wirkungen von sozialem Handeln und eine zu (verändertem) sozialen Handeln führende Forschung. Die Aktionsforschung im Lewinschen Sinn, verstanden auch als Ursprung aller daraus entwickelten bzw. sich darauf beziehenden Richtungen von Aktionsforschung, deren Unterschiedlichkeiten sich nicht zuletzt in der Namensvielfalt (Aktionsforschung, action research, Handlungsforschung, Tat-Forschung, action learning-workbook für Training und Beratung, recherche-action – und sicher noch viele andere mehr) zeigt, lässt sich folgendermaßen skizzieren:


Bereits in seinen ersten Schriften – wie etwa in „Kriegslandschaft“ aus dem Jahr 1917 – wurde Lewins Grundgedanke deutlich: Das Verhalten der Menschen ist nicht geprägt durch „objektive“, physikalische Eigenschaften ihres Umfeldes, sondern vielmehr durch die Wahrnehmung und das Erleben dieses äußeren Raumes. Als Psychologe war Lewins Forschungsinteresse zu Beginn seiner Forschung auf die Psychologie des Individuums konzentriert. Er entwickelte seine Theorie und praktischen Forschungsmethoden aus der Tradition der Gestaltpsychologie heraus. Ihm war von Anfang an daran gelegen, dass die von der Forschung entwickelten Theorien auf die Praxis, das Leben und die Arbeit von Menschen anwendbar sind und einen Mehrwert im Alltag erbringen.


Feldtheorie


Lewin nahm die Bedeutung des Gestaltprinzips (dass das Ganze etwas anderes sei als die Summe seiner Teile – Ehrenfels 1890) für den Wahrnehmungsprozess und das Denken in seiner Entwicklung der Feldtheorie auf. Lewins Feldtheorie stellt keine Theorie im engeren Sinn dar, sondern vor allem eine Analysemethode:


„man definiert sie [Anm.: die Feldtheorie] besser als eine Methode, nämlich eine Methode der Analyse von Kausalbeziehungen und der Synthese wissenschaftlicher Konstrukte. Diese Methode der Analyse von Kausalbeziehungen lässt sich in Form einer Anzahl allgemeiner Sätze über das Wesen der Bedingungen von Veränderungen darlegen (Lewin 1982a, S. 134/135)“.


Das bedeutet, die Person und ihre Entwicklung, das Erleben und Handeln, sowie die zwischen-menschlichen Prozesse sind in der Lewin´schen Feldtheorie die Summe der Gesamtheit von Bedingungen, in welcher die Gegebenheiten der Person und der Umwelt ein System bilden. Dieses System nennt Lewin „Lebensraum“ oder auch „Psychologisches Feld“: „Jedes Verhalten oder jede sonstige Veränderung innerhalb eines psychologischen Feldes ist einzig und allein vom psychologischen Feld zu dieser Zeit abhängig (Lewin 1982a, S. 135)“, V=f(P,U) das Verhalten einer Person ist eine abhängige Variable von Personfaktoren und Umweltfaktoren.


Zusammengefasst fundiert die Feldtheorie auf folgenden sechs Kernelementen (vgl. Lewin 1982a, S. 157ff.):

  • Die Feldtheorie bedient sich einiger Konstrukte oder Konstruktionselemente, um eine Situation darzustellen (Element der konstruktiven Methode).

  • Die Feldtheorie beschäftigt sich mit den Kräften, die dem Verhalten eines Menschen zugrunde liegen (Element des dynamischen Ansatzes).

  • Die Feldtheorie beschreibt das Feld nicht in objektiven physikalischen Begriffen, sondern „in der Art und Weise, wie es für das Individuum zu gegebener Zeit existiert“ (Lewin 1982a, S. 159) (Element des psychologischen Ansatzes).

  • Die Feldtheorie geht von einer komplexen Gesamt-Situation aus, die als eine Gesamtheit erkannt und anerkannt werden muss, bevor einzelne Teilphänomene erforscht werden können (Element des Ausgangs der Analyse von der Gesamtsituation).

  • Die Feldtheorie betrachtet das konkrete Verhalten im gegenwärtigen Augenblick, also im „Hier und Jetzt“ (Element des Verhaltens als eine Funktion des je gegenwärtigen Feldes).

  • Die Feldtheorie visualisiert psychologische Phänomene wie Verhalten in mathematischer, meist geometrischer Form entsprechend der Formel V=f(LR)=f(P, U) (Element der ma-thematischen Darstellung psychologischer Situationen). LR=Lebensraum; P=Person; U=Umwelt.

Weiterentwicklung von Theorie und Entwicklung der Methode Aktionsforschung


Lewins internationale Kontakte halfen ihm, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 aus Deutschland in die USA zu emigrieren. Ab diesem Zeitpunkt wandte sich Lewin immer mehr der sozialen Dimension der psychologischen Forschung zu.

Lewins wissenschaftliches und praktisches Interesse standen unter dem Eindruck der totalitären Katastrophen seiner Zeit, vor allem des Nationalsozialismus. Dies gab seinen weiteren Forschungen auch einen politischen Charakter: Ein zentrales Leitmotiv seiner Forschung war es, Demokratisierungsprozesse zu befördern. Die verschiedenen Gruppen des sozialen Lebens waren die Orte, an denen dies alltagspraktisch umgesetzt werden sollte.


Bezogen auf sein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse war sich Lewin der Tatsache bewusst, dass ein/e ForscherIn, der/die über den gegebenen Wissensstand hinaus gelangen will, sich mit den Ergebnissen und methodologischen Standards der etablierten Wissenschaft nicht zufrieden geben darf und neuartige Methoden entwickeln muss, auch wenn diese zunächst als unwissenschaftlich gelten sollten (vgl. Lewin 1969, S. 26).


Zu den wichtigsten der von Lewin propagierten Ideen zählt die Vorstellung, dass Demokratisierung in den Köpfen nicht allein durch das Erleben positiver Erfahrungen aus erster Hand oder durch das Vermitteln richtiger Kenntnisse von statten geht:


„Die jahrtausendlange tägliche Erfahrung des Menschen mit fallenden Gegenständen genügte nicht, ihn zu einer richtigen Theorie der Schwerkraft zu bringen. Eine Folge von sehr ungewöhnlichen, von Menschen erst herbeigeführten Erfahrungen, sogenannten Experimenten, die die systematische Suche nach der Wahrheit zustande brachte, war nötig, einen Wandel von weniger richtigen zu richtigeren Vorstellungen herbeizuführen. Die Annahme, dass Erfahrungen aus erster Hand in der sozialen Welt automatisch zu der Bildung richtiger Vorstellungen oder zum Zu-standekommen angemessener fester Begriffe führen würde, scheint daher ungerechtfertigt“ (Lewin 1953, S. 98).


Demnach muss auch Demokratisierung als ein jahrelanger, von Generation zu Generation neu zu erlernender Prozess begriffen werden, bei dem das Verhalten der Eliten (demokratischer Führer) eine bedeutende Rolle spielen soll:


„Um Übergänge zur Demokratie zu fördern, muss für eine gewisse Zeit eine Situation geschaffen werden, in der der Führer ausreichend in der Lage ist, Einflüsse, die er nicht wünscht, auszuschalten und die Situation in einem ausreichenden Grade zu bestimmen. Das Ziel des demokratischen Führers in dieser Übergangsperiode wird das gleiche sein müssen wie das jedes guten Lehrers, nämlich sich selber überflüssig zu machen, durch aus der Gruppe stammende Führer ersetzt zu werden“ (Lewin 1953, S. 70).


Ausgehend vom Konzept der Feldtheorie beschäftigte sich Lewin mit der Frage, wie und wodurch sich in der Interdependenz von Person und Umwelt Verhalten in Gruppen konstituiert. Die Bedeutung der Erkenntnisse von Kurt Lewin für aktuelle Gruppeninterventionen speist sich aus der grundlegend lösungsorientierten statt ursachenorientierten Sichtweise Lewins (vgl. Marrow 1977, S. 120). Das Menschenbild Lewins geht vom Prinzip der Wahlfreiheit des Menschen aus. Das Verhalten des Menschen sei demnach intentional ausgelegt, das heißt auf die Zukunft gerichtet, statt aus der Vergangenheit gespeist. Damit steht sein Menschenbild im Gegensatz zu den Annahmen der psychoanalytischen Theoretiker (vgl. Herber/Vásárhely 2002, S. 4 ff.). Die freie Entscheidung des Menschen, so das humanistische Grundprinzip Lewins, sei die Bedingung für sein Handeln und auch für die Veränderung seines Handelns durch Lernprozesse. Die Beobachtung dieser Veränderungen innerhalb von Lernprozessen ist die wesentliche Erkenntnisquelle Lewins (vgl. Lewin 1953, S. 177).


Die Entdeckung des Lernens über Feedbackprozesse und deren Bedeutung für die Gruppendynamik führten ab 1946 zur Gründung von gruppendynamischen Trainingsgruppen, den sogenannten T-Gruppen, als Lernformat und zur Nutzung von Gruppenprozessen für die Selbstthematisierung. Lewin starb unerwartet an Herzversagen und erlebte nicht mehr die Gründung der National Training Laboratories (NTL) in Bethel/Maine im Jahr 1947.


Aktionsforschung


Im Konzept der Aktionsforschung fand Lewins Idee der Verbindung von Theorie und Praxis ihren methodischen Niederschlag. Lewins Ziel war, Gruppenverhalten als Ausgangspunkt sozialer Veränderungsmaßnahmen experimentell zu erforschen. Hierbei wurde der methodische Ansatz der Aktionsforschung genutzt. Mit dem Lewin‘schen Ansatz der Aktionsforschung (action research) wurde eine Methodik entwickelt, mit deren Hilfe ein wissenschaftlicher Zugang zu Gruppenphänomenen ermöglicht wurde. Zu den zentralen Prinzipien dieser Forschungsmethode zählen (vgl. Rechtien 1995, S. 40 f.):

  • die Interdisziplinarität,

  • ein situativer Ansatz,

  • der Einbezug der Beforschten in den Prozess,

  • teilnehmende Beobachtung der ForscherInnen in möglichst vielen Bereichen des beforschten Feldes,

  • die gemeinsame Entwicklung von Forschungsinstrumenten durch ForscherInnen und Beforschte sowie

  • die Veränderung der beforschten Situation durch alle Beteiligten im Anschluss an den Forschungsprozess.

Aufgrund der gesellschaftspolitischen Situation und seiner eigenen Erfahrungen wollte Lewin hier einen Forschungsansatz verwirklichen, der der individuellen und gesellschaftlichen Emanzipation und der Demokratisierung der Gesellschaft dient. Mithilfe dieses Konzeptes sollten Individuen und Gruppen befähigt werden, ihre eigenen autonomen Bestrebungen zu realisieren und gewaltfrei zu kommunizieren. Nach dem Leitspruch „keine Forschung ohne Praxis, keine Praxis ohne Forschung“ erfordert die Methode eine enge Verzahnung von wissenschaftlicher und praktischer Arbeit.


2 Interventionsforschung


In dieser Logik der Verknüpfung von Theorie und Praxis, konkret von Forschung und Praxis hat sich auch an der Universität Klagenfurt, Institut für Organisationsentwicklung und Gruppendynamik, die Interventionsforschung entwickelt: Demnach wird das wissenschaftliche Gerüst der quantitativ-statistischen Forschung als zu eng betrachtet, um komplexe soziale Zusammenhänge wiedergeben zu können. Statt die Wirklichkeit in ein vorgegebenes Konzept einzupressen, sollen die Untersuchungen an die Wirklichkeit angepasst und die „grundsätzliche Autonomie des Systems respektiert“ (Heintel 2005, S. 100) werden. Das bedeutet, dass die Komplexität der vorgefundenen Wirklichkeit anhand von offenen, Veränderungen unterworfenen Regeln reduziert wird, und dass Entscheidungen über den Forschungsverlauf kontinuierlich getroffen werden müssen. Anstelle der Entwicklung allgemeingültiger Aussagen werden im Ergebnis der Untersuchung Aussagen getroffen, die sich ausschließlich auf das untersuchte System beziehen. Das wissenschaftliche Kriterium der Verallgemeinerbarkeit verliert demnach innerhalb dieses Forschungsparadigmas an Bedeutung. Anstelle dessen wird die Relevanz für die beforschten Subjekte, das beforschte System oder die Gesell-schaft als wesentliches Kriterium hervorgehoben.


Ein weiteres Kriterium der Interventionsforschung ist die Vermittlung (Heintel 2005, S. 101f.). Durch die fehlende Verallgemeinerbarkeit kann und will dieser Forschungsansatz mit seinen Ergebnissen nicht über die Praxis der beforschten Subjekte bestimmen. Anstatt dessen wird ein Kommunikations- und Auseinandersetzungsprozess zwischen Forscherinnen, Forschern und Beforschten angestrebt, bei dem die über Forschungsprozesse erhaltenen Ergebnisse in die Praxis zurückgemeldet werden. Dies führt im besten Fall zu einem Erkenntnisgewinn sowohl seitens der Beforschten als auch der Forscherinnen und Forscher. Dieses Kriterium der Selbstaufklärung (Heintel 2005, S. 102) meint die grundsätzliche Chance, die diese Art der Forschung für beide Seiten hat: Die Forscherinnen und Forscher werden durch das kontinuierliche Feedback zu einem Praxisbezug angeregt, während die Beforschten durch die Ergebnisse die Chance haben, ihre Aktivitäten unter neuen Gesichtspunkten zu überdenken und eventuelle Änderungen vorzunehmen.


Durch die genannten Prinzipien soll Ganzheitlichkeit im Erkenntnisprozess hergestellt werden, und zwar eine „Wissenschaft, die sowohl imstande ist, Spezialistentum innerhalb der Wissenschaftsorganisation aufzuheben, bzw. anders zu nutzen, die ihr Untersuchungs- und Forschungsfeld als aktive Quelle der Wissensgenerierung mit einbezieht, die schließlich sich dem Thema ‚Ganzheit‘, Gesamtzusammenhang auf neue Weise annimmt.“ (Heintel 2005., S. 112)


Die Ergebnisse der Interventionsforschung können auf vier Ebenen festgehalten werden (vgl. Heintel 2005, S. 143):

  • Erarbeitung einer relevanten Lösung für die Problemstellung;

  • Theorie- und Repertoiregewinn, wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn;

  • Beitrag zur Selbstaufklärung von Individuen und Systemen;

  • Unterstützung bei der Einrichtung von Mechanismen in Systemen, die eine künftige Problemlösung erleichtern können, wie etwa die Einrichtung spezieller Selbstbeobachtungsmechanismen.

Interventionsforschung setzt zumeist an konkreten Problemlagen wie beispielsweise Gemein-deentwicklung oder Begleitung von Mediationsverfahren an, mit der Zielsetzung, die einzelnen Akteure/innen durch die Rückmeldung der Ergebnisse in ihrem Problemlöseprozess zu unterstützen. Der Forschungsprozess beginnt mit den ersten Erhebungen, die sich zunächst rund um den Initialauftrag (z.B. Imageverbesserung der Gemeinde zu erreichen) gruppieren. Hierbei wird das relevante Umfeld abgesteckt, wobei die Meinungen und Zuschreibungen der beforschten Subjekte berücksichtigt werden (vgl. Heintel 2005, S. 136). Mit diesem ersten Material und den Ergebnissen anderer, ähnlich gelagerter Studien werden problemrelevante Faktoren identifiziert, gruppiert und in Beziehung zueinander gesetzt. Mithilfe dieses ersten sogenannten „Systems von problemrelevanten Faktoren“ (Heintel 2005, S. 136) können nun Hypothesen gebildet werden, die auf die Problemstellung des Forschungsauftrags zugeschnitten sind. Diese werden sowohl hinsichtlich der Vergangenheit gebildet, etwa entlang der Frage „Warum agiert das beforschte System so und nicht anders?“, als auch hinsichtlich der Zukunft, etwa zur Frage „Welche Entwicklungen können dazu beitragen, das beforschte System besser agieren zu lassen?“

Dieses erste System problemrelevanter Faktoren wird nun in einem dreistufigen Prozess überprüft und gegebenenfalls verändert oder korrigiert (vgl. Heintel 2005, S. 137):

  • durch Selbstbeobachtungsprozesse

  • durch die Erfassung des relevanten Systems und seiner Grenzen gemeinsam im ForscherInnen- und im Beforschtensystem

  • durch Diskussion potentieller Faktoren zur Änderungen des alten Systems.

Im Ergebnis entsteht eine Situationsanalyse für den aktuell existierenden Zustand des beforsch-ten Systems und eine Aufgabenstellung für die Überführung des alten Systems in ein neues. Diese Aufgabenstellung übernimmt eine „Brückenfunktion“ (Heintel 2005, S. 137) bei der Realisierung der angestrebten Veränderungen (vgl. Heintel 2005, S. 137). Die Interventionsforschung unterstützt die künftige Realisierung, indem sie Einflussfaktoren auf den Veränderungsprozess identifiziert und mögliche Aktivitäten in Zusammenhang mit der Realisierung absteckt.


Das bedeutet, Interventionsforschung versucht auch herauszufinden, welche Interventionen und welche Handlungen welche Wirkungen im Prozess der Veränderung erzielen können. Hierbei können sowohl wissenschaftliche Hintergrundtheorien zur Verfügung gestellt als auch Prozessexperimente durchgeführt werden (vgl. Heintel 2005, S. 138). In diesem Teil des Forschungsprozesses erhält die Untersuchung einen stärker beratenden als untersuchenden Charakter.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Interventionsforschung eine Prozessforschung ist, bei der in verschiedenen Phasen jeweils unterschiedliche Zielsetzungen und Prozesse im Vorder-grund stehen. Die grundlegende Methode der Interventionsforschung ist die Prozessgestaltung (vgl. Heintel 2005, S. 138).


3 Recherche-Action (Desroche)


Die französische Sichtweise der Aktionsforschung (recherche-action) geht zwar wie die traditionelle Aktionsforschung davon aus, dass die Personen, die in einem bestimmten „Feld“ arbeiten, dieses Praxisfeld auch selber erforschen, der Anstoß für das Forschungsprojekt geht aber nicht von der Wissenschaft aus, sondern von den betroffenen Personen, die in diesem Feld leben und arbeiten. Meist soll ein solches Forschungsprojekt dazu führen, die Situation für die Initiatoren zu verbessern.


Die recherche-action geht auf Henri Desroche, der im Zuge der Weiterbildung senegalesischer Bauern 1961, neue Wege in Forschung und Praxis beschreitet und entwickelt. Die Bauern im Senegal besprechen nicht nur gemeinsam ihre Probleme, sondern entdecken, dass ihr Wort Macht hat. Von da an entsteht eine Bildungsbewegung, die die bauern animiert, sich gemeinsam auszudrücken, ihre Probleme mithilfe von Bildern zu visualisieren, sich zu organisieren, um ein kollektives Machtbewusstsein zu schaffen gegen ausländische Wirtschaftskonzerne. Desroche entdeckt das ungeheure Erfahrungswissen dieser Bauern, das in gemeinsamen Reflexionen nur geweckt werden muss, um soziale, aber auch wirtschaftliche und politische Veränderungen in die Wege zu leiten. Desroche erkennt aber auch, welcher theoretische Nutzen für den Wissen-schaftsbereich daraus resultieren könnte. Daher setzt er sich ein, dass Afrikaner mit langjähriger Berufserfahrung besonders in bäuerlichen Organisationen ein Stipendium nach Paris bekommen. Diese Art der Forschung, nämlich Aktionsforschung, beruhend auf eigenen Erfahrungenund gemeinsam mit gleich Betroffenen, also reflektierte kollektive Praxis, etablierte Desroche in Frankreich. Die traditionellen Universitätsstrukturen blieben dieser Art von Studium ver-schlossen. Jedoch über sog. „CollÈge Cooperatif“ und ein „Réseau des Hautes Etudes des Pratiques Sociales“, ein Netzwerk französischer Universitäten, heute erweitert mit Lausanne und Linz, das sich nun RIHEPS nennt, kann ein Diplom erworben werden. (Vgl. Hörburger 2012, S. 33ff.)


Das Herzstück der französischen recherche-action bildet die „Autobiographie raisonnée“, eine Sebstbiografie im Rückblick. Die Bedeutung für die eigene Aktionsforschung einer Person, sich in reflektierender Weise mit der eigenen Lebensgeschichte auseinanderzusetzen liegt im besseren Verständnis des eigenen Lebensweges, um darauf aufbauend klarer zu sehen, wohin man sich orientieren will. Bezogen auf die eigene Forschung im Rahmen des beschriebenen Studiums liefert die autobiogrphie raisonée den roten Faden, der den Studierenden durch das eigene For-schungsprojekt führt und der dem Projekt Orientierung gibt. (Vgl. Ranftl 2012, S. 101ff.)


4 Schulentwicklung


Auch die kritische Erziehungswissenschaft war mit dem Problem konfrontiert, ihre Kritik am pädagogischen Alltag umzusetzen. Als Lösungsmöglichkeit wurde dazu das Konzept der „Handlungsforschung“ ausgearbeitet. Das Forschen sollte mit praktischem Handeln einhergehen und so in Kooperation mit den PädagogInnen zu Reformen und zu Verbesserungen der Praxis führen.

Der zentrale Aspekt, auf den Aktionsforschung in der Schulentwicklung fokussiert (vgl. Altrichter/Posch 2007) ist das In-Beziehung-Setzen von Aktion und Reflexion. Dies impliziert eine doppelte Zielsetzung: Erkenntnis (über die Reflexion der Aktion) und Entwicklung (über die weitentwickelte Aktion auf Basis der Reflexion). Dem handeln werden durch die Reflexion neue Möglichkeiten eröffnet und die Reflexionsergebnisse werden durch das Handeln einer Überprüfung unterzogen.


Abschließend kann konstatiert werden, dass sich Grundelemente der Aktionsforschung in der Tradition von Kurt Lewin auch in allerhand Organisationsforschungs- und Organisationsberatungsliteratur wiederfinden, was die eigene Festlegung im Sinne der Benennung des eigenen Vorgehens und die Entwicklung des eigenen Weges und dessen Beschreibung besonders bedeutsam macht.


5 Literatur


Altrichter, H. / Posch, P. (2007): Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. 4. A. Klinkhardt


Heintel, P. (2005): Zur Grundaxiomatik der Interventionsforschung. Bd. 1. Klagenfurter Beiträge zur Interventionsforschung. Klagenfurt: IFF.


Herber, H.J. / Vásárhely, Ė. (2002): Lewins Feldtheorie als Hintergrundparadigma moderner Motivationsforschung (im Vergleich zu Behaviorismus, Psychoanalyse, Gestalt- und Kognitionspsychologie) (PDF). Online-Dokument gesehen 12/2008.


Hörburger, R. (2012): Wo und wie ist unser DHEPS in Frankreich entstanden? In: Gunz, J. (Hg.) (2012): Von der Aktion zur Forschung – Theorie und Praxis eines innovativen Bildungsmodells. Wien: ÖGB-Verlag.


Lewin, K. (1953): Die Lösung sozialer Konflikte. Bad Nauheim.


Lewin, K. (1969): Grundzüge der topologischen Psychologie. Bern/Stuttgart.


Lewin, K. (1982a): Feldtheorie. Kurt-Lewin-Werkausgabe Bd. 4. Bern/Stuttgart.


Marrow, A.J. (1977): Kurt Lewin – Leben und Werk. Stuttgart.Rechtien, W. (1995): Angewandte Gruppendynamik. 2. Aufl., München.

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